Montag, 28. September 2015

Hoch begabt - und trotzdem glücklich



Hoch begabt - und trotzdem glücklich.
(Horsch, Herbert; Müller, Götz; Spicher, Hermann-Josef; Verlag Oberstebrink, ISBN: 3-934333-16-8)

Ich weiß noch genau, das war vor etwas mehr als 6 Jahren das erste Buch, das ich zum Thema Hochbegabung gelesen habe. Die Volksschullehrerin meines Sohnes hatte es mir empfohlen, als ich ihr erzählt habe, dass er hochbegabt ist. 

Im Buch klingt alles klar und einfach: Erster „Verdacht“ auf Hochbegabung, Diagnostik, Förderung unter Zusammenarbeit von Eltern, Kind, Erzieherin/ LehrerInnen – und ein glückliches Kind, das sich anstrengt, gute Leistungen erbringt und daraus Befriedigung zieht. Das Buch lieferte gut gegliederte Information für die verschiedenen Altersstufen, das wichtigste bunt unterlegt, leserfreundlich und gut verständlich.
Alles vollkommen schlüssig und selbstverständlich. Dazwischen griffige Fallbeispiele, und einige Seiten auch zu den möglichen „Problemen“. Der Grundton aber positiv und optimistisch.
Jetzt, fast 6 Jahre später, habe ich das Buch nochmals gelesen, bin nicht richtig warm damit geworden, aber einiges Inhaltliche ist trotzdem hängen geblieben.

* Die Autoren sind Verfechter von unbedingt nötiger spezieller Förderung, am besten vom Kindergarten an – ist das notwendig? Kommen nicht auch (viele?) hochbegabte Kinder ohne Förderung durch das Schulsystem, und zwar ohne Probleme und mit Leistungen, die ihrer Intelligenz entsprechen? Eben aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur, aufgrund der Tatsache, dass sie aus ihren Schulleistungen Befriedigung schöpfen, dass sie einen Unterricht genießen, der ohne „spezielle Begabungsförderung“ interessant und herausfordernd ist, dass sie neben der Schule ihre Spezialinteressen verfolgen?
Schon vor dem Kindergarten empfehlen die Autoren den Besuch einer Krabbelgruppe als unbedingt notwendig zur geistigen Stimulation. Ich bin nicht sicher, dass das den Bedürfnissen aller hochbegabten Kinder entspricht. Gerade die hochsensiblen Kinder bleiben dabei auf der Strecke. Und in diesem Alter sind fast alle Eltern in der Lage ihr Kind angemessen zu fördern. (Und die, die es nicht sind, kommen eh nicht drauf, dass das Kind hochbegabt ist.)

*Gut an dem Buch finde ich, dass die Eltern ermutigt werden, zusätzlich zu ihrem eigenen Blick auf das Kind auch nachzufragen, wie denn Kindergärtnerinnen die (kognitive) Entwicklung einschätzen. Die haben nämlich deutlich mehr Vergleichswerte. Das macht natürlich nur Sinn, wenn die Fachkräfte aufgeschlossen sind.
Den Begriff „Entwicklungs-Gleiche“ finde ich gut, also Kinder, die nicht gleich alt sind aber trotzdem gleich weit entwickelt.

* Hängengeblieben ist bei mir die Empfehlung für erste Gespräch mit der Klassenlehrerin, das schon vor dem Schuleintritt erfolgen soll: „Erzählen Sie von Ihrem Kind, was es so tut und kann – und davon muss mindestens ein Punkt negativ sein, also etwas, wo es nicht so gut ist.“ Von der Logik verstehe ich es - sonst gerät man in die Schiene „schon wieder so Eltern, die glauben, Sie haben ein Wunderkind“ - aber bei meinen Kindern hätte ich lügen müssen. Die waren sprachlich und mathematisch gut, bastelten und zeichneten gern, waren motorisch geschickt und hatten keinerlei Problem im Sozialverhalten.

* Eltern sollen Lehrern sachlich gegenüber treten. Da bin ich voll einverstanden, nur müssen halt die Lehrer da auch mitmachen. Wenn sich die schon vom Wort „hochbegabt“ angegriffen fühlen, wird es schwer, ein sachliches Gespräch zu führen.

* Im späteren Schulleben, ein Tipp an die Eltern: „Fordern Sie Schulleistungen, die der Begabung des Kindes entsprechen.“ Okay, aber wie denn nun genau? Das ist ein genereller Kritikpunkt, dass öfters vom „was soll getan werden“ die Rede ist, aber die konkreten Vorschläge für das „wie“ ausbleiben. Außerdem ist oft nicht klar, von welchem Alter die Rede ist. Vieles ist mit einem Volksschulkind anders als mit einem pubertierenden Gymnasiasten.

* Hausübungen werden zu einem Problem, wenn die Kinder unterfordert sind. Sie fordern dann Hilfe bei Dingen ein, die sie können (sollten) , weil sie sich nicht anstrengen (wollen)? Hier soll man die Kinder dazu anhalten, diese Aufgaben trotzdem alleine zu erledigen (wie denn?).Verstehe ich nicht, diese Logik. Ja, Hausaufgaben können durchaus zum Problem werden, aber weil das Kind die Sinnhaftigkeit nicht sieht und die Hausübungen langweilig findet, weil es den Stoff schon längst kann. Wieso soll man es dann zwingen, sie trotzdem zu machen?

* Kinder werden zu Underachievern, weil ihnen die Lern- und Arbeitstechniken fehlen, weil sie vorher alles mit links geschafft haben. Ja, die mag es geben, das ist durchaus nachzuvollziehen, aber im Allgemeinen wird es begabten Kindern gelingen (mit etwas Unterstützung) die notwendigen Lerntechniken zu erwerben. Aber was ist mit jenen Kindern, die zu Underachievern werden, weil sie sich – da der Schulstoff nicht auf ihrem Niveau ist – aus dem System Schule ausklinken?

* Eine interessante Idee ist das Kapitel „für hochbegabte Kinder und Teenager“. Dort werden „Fälle“ und ihre Lösung geschildert, wobei Kinder und Jugendlich zu Wort kommen und Tipps geben.

Inzwischen – viele Bücher und Erfahrungen reicher – finde ich das Buch ein bisschen zu „platt“, zu „eindimensional“, was vielleicht auch daran liegt, dass meine Kinder bis jetzt nicht das Glück hatten, in der Schule auf Verständnis für ihre Hochbegabung zu stoßen.

Aus heutiger Sicht gibt das Buch eine ganz gute Übersicht über eine optimale Entwicklung des hochbegabten Kindes und ist ein guter erster Einstieg in das Thema.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen